Die Freunde der Kulturinsel Nepix Kull wissen es längst: Dieser Ort führt ein Doppelleben.
Rund ums Jahr ein Refugium der Natur, in dem Tiere und Pflanzen weitgehend unter sich bleiben; dann – alljährlich im September zugleich auch ein Hort der Kultur, in dem das ganze Eiland zur Bühne wird, zu einem „Schau“platz im doppelten Sinn des Wortes, der die unterschiedlichsten, von Menschenhand eigens für diesen Ort geschaffenen Formen und Erscheinungsweisen hervorzubringen vermag.
Nun also ein „Fanal gegen das Leid“. Die 1944 in Budapest geborene Bildhaurein Gabrielle Fekete setzt es als dreiteilige Installation mitten in die Naturkulisse, die idyllischer kaum inszeniert werden könnte.
Auf den ersten Blick ein wuchtiges Ensemble, das aus dem Boden zu wachsen scheint, als hätte es hier seinen Platz seit Urzeiten schon. Die Insel, dem Hier und Jetzt entwachsen und abgekoppelt vom konkreten, geografisch eingrenzenden Raum, lässt an archaische Siedlungsplätze denken. Indes: Die Eindrücke sind ambivalent. Sie erzeugen ein Echo auf unterschiedlichen, teilweise widerstreitenden Deutungsebenen zwischen Wahrhaftigkeit auf der einen, Ausgeliefertsein auf der anderen Seite.
Die eiserne Haut der Artefakte würde wohl auch zur Rüstung taugen. Doch hier käme jeder Schutzschild zu spät. Die Beute ist schon erlegt, das Fell zur weiteren Verwertung abgezogen, und nur die stilisierten Hörner der zentralen Figur zeugen noch von einstiger Stärke. Selbst das massive Tau entzieht sich eindeutiger Wertung. Ein Betrachter mag es als Werkzeug der Fesselung sehen und als Symbol der Ausweglosigkeit auf dem Weg zum Schlachthof, ein anderer denkt vielleicht daran, dass ein Seil auch sicheren Halt verschaffen kann.
Und eine dritte Figur fügt die Künstlerin noch hinzu. Sie steht für den embryonalen Zustand eines jeglichen fühlenden Wesens. Für den Zauber des Anfangs und einer, nennen wie sie paradiesisch anmutenden Unschuld, die alle Möglichkeiten noch in sich birgt. Alle Möglichkeiten der Entwicklung. Hoffnung inklusive.
So prallt auch der Blick eines allein auf idyllische Aus- und Ansichten gefassten Spaziergängers nicht ab von diesem Fanal, sondern wird im Prozess des Innehaltens und Betrachtens umso nachhaltiger in den Bann gezogen. Aus diesem Wechselbad der Gefühle speist sich die Magie, die den raumgreifenden Skulpturen innewohnt, die Gabriella Fekete als archetypische Urformen gestaltet. Erinnert sei hier nur an ihr Werk „Zeittafel“ mit seinen gesichtslosen Menschenköpfen am Ende paralleler Eisenschienen. Der Verzicht auf individuelle Züge schafft gewissermaßen eine Matrix für alle Formen des Leidens und – nicht zuletzt auch – des Mitleidens.
Wo ein akademischer Vortrag mit akribisch aufgelisteten Opferzahlen und grausamen Details aus den Folterkammern dieser Welt bestenfalls wirken würde wie der sprichwörtliche Keulenschlag auf den Sitz des Denkapparats, zielt die Bildhauerin mit ihren Werken subtiler, und vielleicht gerade darum besonders wirkungsvoll auf die „Organe“ des Fühlens.
Dieses „Fanal gegen das Leid“ braucht keine Plakate, geschweige denn wütendes Protestgeschrei, das im schlimmsten Fall neue Gewalt erzeugt. Gabriella Fekete führt ihren Kampf gegen das Leid mit Zeichen und Figuren, die aufs Äußerste reduziert, von modischen Verkleidungen, aber auch von den Vokabeln unterschiedlicher kultureller Kontexte frei und gerade dadurch universell verständlich sind.
Eines darf vielleicht noch verraten werden: Die Dimensionen dieser Installation, hier im Moerser Schlosspark, waren auch für die, mit monumentalen Objekten vertraute, Bildhauerin eine Herausforderung.
Eine Skulptur, so sagt sie, muss von allen Seiten wirken. Da trifft es sich gut, dass eine Insel ein Rundling ist. Dennoch sind die geflügelten Bewohner hier eindeutig den zweibeinigen Besuchern überlegen. Ihnen liegt auch noch die Vogelperspektive zu Füßen.
Eva-Maria Zacharias |